Im neusten Bericht des Projekts „EU Kids Online“ geht es um die Erfahrungen, die Kinder in Europa mit dem Internet machen. Der Untersuchungsschwerpunkt liegt dabei auf den Möglichkeiten, die sie online haben, auf den Risiken und Gefahren sowie den unterschiedlichen Arten der Vermittlung der Internetnutzung durch die Eltern. Die Forscher haben dazu vier verschiedene Kategorien herausgearbeitet, denen die untersuchten Länder zugeordnet werden können.
Der Bericht fokussiert die internationalen Unterschiede und vertieft auf diese Weise das Verständnis. Frühere Klassifikationen stellten lediglich auf unterschiedliche prozentuale Anteile der Kinder in den Ländern ab, die das Internet täglich nutzen und dabei einem oder mehreren Risiken ausgesetzt waren. EU Kids Online untersucht demgegenüber die Bandbreite von Möglichkeiten, die sich online bieten, blickt auf die Risiken und Gefahren, denen sich Kinder in den untersuchten Ländern gegenüber sehen, und bezieht außerdem die unterschiedlichen Vermittlungsweisen ein, die Eltern in den Ländern anwenden, um die Internetnutzung der Kinder zu begleiten oder zu regulieren.
Insgesamt sind die Länder-Cluster am deutlichsten anhand der Risiken durch sexuelle Inhalte zu unterscheiden. Cybermobbing und Probleme mit der Herausgabe persönlicher Daten sind gleichmäßig verteilt. Mit diesen und anderen Faktoren arbeitet der Bericht vier Länder-Cluster heraus: „Unprotected Networkers“, „protected by restraint“, „Semi-Supported Risky Gamers“ und „Supported Risky Explorers“. Die Autoren heben hervor, dass der Vorteil einer solchen Betrachtung gesamteuropäischer Ähnlichkeiten insbesondere deshalb von Vorteil ist, da die Gesetzgeber eines Landes von den Best-Practice-Szenarien lernen können, die ein anderes Land initiiert hat – vorausgesetzt natürlich, das ist überhaupt gewollt.
Die Autoren sehen Anlass zur Hoffnung, dass die Vermittlungsstrategien der Eltern sich parallel mit der Internetnutzung der Kinder positiv und konstruktiv weiterentwickeln. In einigen Ländern könnte sich aber hinsichtlich der Risiken und Gefahren ein negatives Muster hervorheben: Denn zu viele Restriktionen und mangelnde Unterstützung der Internetnutzung der Kinder könnten zu mehr Gefahren führen. Das trifft besonders auf Deutschland zu. In keinem anderen Land gehen die Eltern so restriktiv vor und versuchen die Internetnutzung über Verbote zu regeln. 46 Prozent der Eltern gehen in Deutschland so vor, das europäische Mittel beträgt 24 Prozent.
Die untersuchten europäischen Länder lassen sich unterschiedlichen Kategorien zuordnen.
Supported Risky Explorers: Anzutreffen vornehmlich in den skandinavischen Ländern. Dieser Kategorie sind Kinder zuzuordnen, die man als erfahrene Social Networker bezeichnen kann. Sie sind überdurchschnittlich vielen sexuelle Risiken online ausgesetzt, auf der anderen Seite begleiten ihre Eltern sie aktiv bei der Internetnutzung. Die Autoren vermuten, dass die Maßnahmen der Eltern sich parallel zu den Risiken und Möglichkeiten der Kinder entwickeln: Je mehr Erfahrung sie sammeln und je risikofreudiger sie werden, desto intensiver kümmern sich die Eltern um den sicheren Umgang mit dem Internet.
Semi-supported risky gamers: (Bulgarien, Zypern, Tschechische Republik, Estland, Polen und Rumänien). Die Online-Möglichkeiten der Kinder in diesen Ländern sind mittelmäßig ausgeprägt. Sie sind hauptsächlich auf Unterhaltung und insbesondere Spiele ausgerichtet. Trotzdem sind sie einem relativ hohen Maß an Risiken und Gefahren ausgesetzt. Die Eltern unternehmen in diesen Ländern recht unterschiedliche Maßnahmen der Vermittlung, inklusive aktive und restriktive Formen der Vermittlung. Obwohl die Eltern eine große Bandbreite an Strategien ausprobieren, wären weitere Untersuchungen erforderlich, um zu verstehen, warum die Risiken hier verhältnismäßig häufig sind und welche weiteren Maßnahmen nötig wären, um die Möglichkeiten zu erweitern und die Gefahren zu reduzieren.
Protected by restrictions: (Belgien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien, Türkei und Großbritannien). In dieser Kategorie ist die Online-Erfahrung der Kinder durch ein relativ geringes Maß an Risiken gekennzeichnet. Das liegt wahrscheinlich daran, die Internetnutzung dort recht eingeschränkt und weitreichend reduziert auf praktische Aktivität ist. Während die Eltern damit zufrieden sein mögen, dass die restriktive Vermittlung Risiken verringert, scheint es doch so zu sein, dass die Kinder dadurch gleichzeitig viele Online-Möglichkeiten verpassen. Die Frage für Gesetzgeber, Eltern und Lehrer in diesen Ländern ist daher, ob die Möglichkeiten erweitert werden können, ohne die Gefahren zu erhöhen. Dies könnte dadurch erreicht werden, sich von eher restriktiven Formen der Vermittlung zu entfernen und Mustern aktiver Vermittlung anzunähern. Ein solcher Zugang müsste allerdings anerkennen, dass damit auch Risiken verbunden sind. Die Autoren räumen ein, dass weitere Untersuchungen nötig wären, um herauszufinden, ob Kinder genügend resilient werden können, um mit diesen Risiken umgehen zu können.
Unprotected networkers: (Österreich, Ungarn, Litauen und Slowenien). Schließlich gibt es noch eine Länder-Kategorie, in der die Online-Erfahrungen der Kinder ziemlich eingeschränkt, und möglicherweise dadurch problematisch ist: die sozialen Aspekte des Web 2.0 wurden hier sehr gut angenommen und die Kinder sind in der Folge Risiken ausgesetzt, die damit einhergehen, ohne aber die Unterstützung zu erhalten, wie die Kinder in der Gruppe der Supported Risky Explorers.
Anfang 2006 wurde das Projekt EU Kids Online von der Europäischen Kommission im Rahmen des Safer Internet Plus Programms bewilligt. Diese internationale Vernetzungsinitiative bündelt die europaweit verfügbaren Daten zur Mediennutzung von Kindern, vermittelt internationale Kooperationspartner und identifiziert auf dieser Grundlage den Forschungsbedarf. Zurzeit sind 32 europäische Länder an dieser Initiative beteiligt.
In der ersten Projektphase von 2006 bis 2009 wurde zunächst eine Bestandsaufnahme ermittelt. Im Juni 2009 startete das Folgeprojekt EU Kids Online II. In dieser Phase wurde eine europaweite Repräsentativbefragung zur sicheren Internetnutzung von Heranwachsenden durchgeführt. Dazu wurden 25 000 Kinder und Jugendliche im Alter von neun bis 16 Jahren sowie deren Eltern aus 25 europäischen Ländern befragt. Die dritte Phase des Projekts läuft seit November 2011. Die in EU Kids Online I angelegte Datenbank mit Studien zur Onlinenutzung von Kindern in Europa wird darin aktualisiert und erweitert. Außerdem werten die Forscher die Daten aus der europaweiten Repräsentativbefragung aus. In ausgewählten Ländern werden zudem qualitative Interviews zum Risikoverständnis von Kindern durchgeführt.
Der vollständige Bericht als pdf Download
Quelle: Sven Becker: www.digitales-lernen.de